Der Göttinger Feldhamster - Biologische Schutzgemeinschaft - Vereinigung für Natur- und Umweltschutz zu Göttingen e. V.

Direkt zum Seiteninhalt

Der Göttinger Feldhamster

Der Feldhamster (Cricetus cricetus) steht symbolisch für den katastrophalen Rückgang der Artenvielfalt in der Agrarlandschaft: Vor einigen Jahrzehnten noch vielerorts häufig, wird er mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern auch global als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft.

Die Biologische Schutzgemeinschaft setzt sich seit über 20 Jahren in Kooperation mit anderen Naturschutzakteur*innen intensiv für den Erhalt der letzten Feldhamster-Populationen in der Region Göttingen ein. Besonders im Fokus unserer Bemühungen steht die vermutlich größte südniedersächsische Population am Nordcampus der Universität Göttingen. Seit einigen Jahren ist die BSG auch Mitglied der AG Feldhamsterschutz Niedersachsen e. V., in diesem Rahmen wurden unter anderem bereits Vorträge und Kartier-Workshops angeboten.

Auf dieser Projektseite geben wir einen Überblick über die Historie des Feldhamsterschutzes in Göttingen, laufende Maßnahmen und die Ursachen der Gefährdung.

Viel Spaß beim Stöbern!

Das heutige Verbreitungsgebiet der Feldhamster reicht von Belgien über Mittel- und Osteuropa bis in die russische Altairegion und das nordwestliche China. Ursprünglich war der Feldhamster in den Steppen Osteuropas beheimatet und breitete sich im Zuge der Ausweitung des Ackerbaus nach Westeuropa aus.

In Deutschland ist der Feldhamster in fast allen Bundesländern nachgewiesen, zum Teil aber nur historisch. Die größten zusammenhängenden deutschen Vorkommen erstrecken sich noch vom westlichen Sachsen über Thüringen und Sachsen-Anhalt bis in den südöstlichen Teil von Niedersachsen.

In Niedersachsen ist der Feldhamster wie allerorts massiv zurückgegangen. Schwerpunktvorkommen befinden sich u. a. im Raum Hildesheim. Stark isoliert gibt es aber auch im Raum Göttingen noch Feldhamster. Das bekannteste Vorkommen befindet sich auf dem Nordcampus der Georg-August-Universität. Aus dem Göttinger Umland liegen aus den letzten Jahren nur noch einzelne Meldungen vor, bei gezielten Erfassungen durch die BSG wurden kaum noch Hamsterbaue nachgewiesen.

Eine wichtige Habitatrequisite des Feldhamsters ist die Bodenbeschaffenheit. Im Göttinger Norden gibt es einige Lösszungen mit z. T. meterhoher Auflage, dort findet er gute Bedingungen. Mitten im Bereich der Studierendenwohnheime konnten wir eine 2,32 Meter tiefe Fallröhre nachweisen (s. Video), in die der Hamster bei Gefahr blitzartig verschwindet. Studierende konnten dies immer wieder von der Terrasse ihrer Wohnung aus beobachten. Der Feldhamster ist ein äußerst gewandter Kaminkletterer!

Video, Hamsterbau mit einer Falltiefe von über zwei Meter
In Göttingen ist die Population des Feldhamsters einerseits durch die starke Isolation des Vorkommens gefährdet. Es droht eine genetische Verarmung, die zur allgemeinen Schwächung und möglichem Aussterben der Population führen kann. Die Tiere im Uni-Nordbereich werden zudem durch Prädatoren wie Greifvögel, Füchse und auch zahlreiche Katzen des urbanen Bereiches immer wieder getötet. Es zeigt sich, dass eine gute Deckung durch vorjährige Vegetation vor allem im Frühjahr wichtig für das Überleben ist. Durch Baumaßnahmen wird der Lebensraum des Feldhamsters Jahr für Jahr mehr eingeschränkt. In kleineren Bereichen behindern Barrieren wie Gebäudekomplexe und Betonmauern das Wanderverhalten der Hamster. Dies ist eindrucksvoll im Uni-Nordbereich zu beobachten.
Im Jahr 2020 wurde die genetische Zusammensetzung der Feldhamster-Population auf dem Uni-Gelände untersucht und ausgewertet. Dazu wurden über 30 Haarproben von dort lebenden Hamstern eingesammelt. Außerdem sollen umfassende Kartierungen im Landkreis Göttingen stattfinden, um die letzten dort verbliebenen Feldhamster aufzuspüren. Darauf basierend können dann gezielt Schutzmaßnahmen initiiert werden.

Ein städtebaulicher Vertrag zwischen der Stadt Göttingen und dem Land Niedersachsen vertreten durch die Universität kommt am 14.07.1999 zustande mit ausgewiesenen Kompensationsflächen (s. Schutz). Inzwischen, einmal im Jahr im späteren Frühjahr, findet auf beiden Flächen ein Monitoring durch ein Planungsbüro und Naturschutzaktive statt.
Durch einen städtebaulichen Vertrag zwischen dem Land Niedersachsen vertreten durch die Universität und der Stadt Göttingen wurden am 14.7.1999 zwei ausgewiesene Flächen unter Schutz gestellt und gemäß einem Managementplan und Bewirtschaftungsplan seitdem hamstergerecht bewirtschaftet. Bei ständiger Überprüfung der Bewirtschaftung zeigt sich, dass ein mehrjähriger Luzerneanbau in Teilbereichen mit Abmähen in den Folgejahren das Überleben fördert, da im Frühjahr genügend Deckung vorhanden ist. Die Bustrasse wurde für den Privatverkehr gesperrt, dies wurde nach Jahren der Auseinandersetzung mittlerweile weitestgehend akzeptiert.

Schutzfläche 1 „Kernfläche“
1,6 ha, in Nord-Süd-Richtung wird die Fläche in 16 Ackerstreifen gemäß des Managementplans und aktuellen Abwägungen mit verschiedenen Pflanzenarten und Vegetationstypen bewirtschaftet. Dazu gehören Getreide (auch vorjährig), Wicke, Luzerne, Klee, Brachflächen (auch vorjährig), Gras und Staudenfluren. Knapp ein Sechstel wird als Obst- und Gemüsegarten von der Universität einschürig gemäht. Längerfristig soll auf Grund der Bodenbeschaffenheiten die Ausrichtung der Ackerstreifen in West-Ost-Richtung verlegt werden, da der Hamster damit die tieferen Lössinseln besser nutzen kann.

Schutzfläche 2 „Nördlich der Otto-Hahn-Strasse“
5,6 ha, in Nord-Süd-Richtung angelegte Ackerstreifen werden gemäß des Managementplans und aktuellen Abwägungen mit Getreide, Luzerne, Grasflur und Blühstreifen (auch vorjährig) bewirtschaftet.

Ausserhalb der beiden Schutzflächen sind im Laufe der Jahre im Uni-Nordbereich weitere Flächen in eine hamstergerechte Bewirtschaftung einbezogen worden. Durch Aufschüttungen in größerem und kleinerem Maßstab konnten über Trittsteine Hamsterkorridore geschaffen werden.
Es gab im Uni-Nordbereich sicher schon lange eine Feldhamsterpopulation. Aber erst durch den Bau von Busstraße und Biozentrum 1998 und die damit verbundene Zerstörung von Hamsterbauen wurden Schutzmaßnahmen über Nacht brandaktuell. Umsiedlung und Vergrämung waren weder erfolgreich noch fachlich zu rechtfertigen. Erst langanhaltende Proteste der Naturschutzverbände mit Forderungen nach Einhaltung der rechtlich vorgegebenen Maßnahmen führten nach Baustopp und Antrag auf sofortige Sicherstellung und anschließende Unterschutzstellung zur Ausweisung von Schutzflächen und ihrer hamstergerechten Bewirtschaftung (s. Schutz).


Video, Aufnahme einer Wildkamera

Video, TV-Berichte aus dem Jahr 1998
Habitus
Der Feldhamster ist die bunteste heimische Säugetierart unserer Agrarlandschaft. Der kleine Nager erreicht etwa die Größe eines Meerschweinchens und ist damit deutlich größer als sein bekannter Verwandter, der aus Vorderasien stammende Goldhamster.

Lebensweise
Der Hamster lebt vorrangig in seinem Bau, der bis zu zwei Meter tief unter der Erde liegt und in mehrere Kammern gegliedert ist. Zugänge zum Bau sind die Eingangsröhren, die meist zu mehreren schräg in die Erde gegraben werden. Sehr wichtig ist die sogenannte Fallröhre, die senkrecht in die Erde führt und dem Hamster bei Gefahr die schnelle Flucht ermöglicht. Diese Röhre wird als Erste im Frühjahr nach dem Winterschlaf von unten nach oben gegraben. Deren Anzahl im April/Mai gibt eine recht genaue Zahl der Individuen, da jeder Hamster seinen eigenen Bau hat.

Habitatansprüche
Er braucht für seine Baue tiefgründige, strukturarme Böden, bevorzugt lebt er in Niedersachsen in den Lössgebieten der Bördebereiche zwischen Harz und Heide. Dies ist die nördliche Verbreitungsgrenze in Deutschland, für diese Vorposten der Art besteht eine besondere naturschutzfachliche Bedeutung - und Verantwortung.

Nahrung
Der Hamster ernährt sich von frischem Grün und Früchten, vor allem während der Jungenaufzucht auch von tierischem Eiweiß. Getreide eignet sich später im Jahr besonders gut zur Einlagerung im Winterbau.

Fortpflanzung
Ab April/Mai beginnt die oberirdische Aktivitätsphase. Das Weibchen bringt nach ungefähr 20 Tagen Tragezeit die 6 - 10 Jungen zur Welt. Diese sind nackt und blind und wiegen nur 3 bis 5 g. Doch schon nach nach 2 bis 3 Wochen beginnen die Jungen das nähere Umfeld des Baus zu erkunden. Im Alter von etwa 25 Tagen wiegen die Jungen 100 g und sind selbstständig. Waren es in früheren Zeiten noch drei Würfe pro Sommer, haben heute überwiegend nur noch die Jungen des ersten Wurfes eine Chance das erste Lebensjahr zu überleben. Dies liegt vor allem an den immer früher einsetzenden Ernten und den fehlenden Strukturen im Feldbereich. Dies führt zu einem Defizit an Deckung und Nahrung. Aber auch der vermehrte Anbau von Mais könnte einen negativen Einfluss auf die Fruchtbarkeit des Hamsters haben. Der Einfluss der Vielseitigkeit der Nahrung auf die Reproduktionsfähigkeit ist Gegenstand von aktuellen wissenschaftlichen Untersuchungen.

Schutz
Seit 2018 wird in fünf Bundesländern im Projekt Feldhamsterland und im Feldhamsterforum des AG Feldhamsterschutz Niedersachsen über fünf Jahre versucht, den Feldhamster vor dem Aussterben zu bewahren. Dazu werden zusammen mit der Landwirtschaft Maßnahmen entwickelt, die sich gut in die betrieblichen Abläufe integrieren lassen und aber gleichzeitig Nahrung und Deckung für den Hamster bieten.

Gefährdung
In der modernen Landwirtschaft gibt es zwischen Ernte und Neubestellung kaum ein Zeitfenster. Dies konnte der Hamster in früheren Zeiten intensiv zum Eintrag von Wintervorräten in seinen Bau nutzen, die ihm in immer wiederkehrenden Wachphasen während der Winterruhe Nahrung boten. Außerdem gibt es bei den modernen Erntetechniken und den heute angebauten Getreidesorten kaum ausfallende Körner, die eingesammelt werden könnten. Auch eine Vegetationsdeckung im Frühjahr ist in der heutigen Landwirtschaft nur noch selten gegeben.

Weitere Gefährdungen bestehen durch Arealzerschneidung durch Straßen, Neubaugebiete und Großprojekte.

Diese Gefährdungsfaktoren wirken mehr oder weniger im gesamten Verbreitungsgebiet des Feldhamsters und haben allerorten zu massiven Bestandseinbrüchen in den letzten Jahrzehnten geführt. Seit 2020 stuft die IUCN ihn deshalb als global „vom Aussterben bedroht“ ein.

Vermehrt trifft man heute den Feldhamster im urbanen Bereich in den Hausgärten und Kleingärten an, die eine Fülle von Nahrung bieten. Selbst bei ungünstigen Bodenverhältnissen legt der Hamster dort seine Baue einfach z. B. in die Komposthaufen oder andere Randbereiche, es gibt inzwischen sehr viele Nachweise dieser sogenannten Garten-Hamster.

Rechtsprechung
Der Feldhamster war in den letzten Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher juristischer Verfahren. 2020 hat insbesondere ein richtungsweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofes Wellen geschlagen, das hier aufgeführt sei:

EuGH-Urteil 2020 Rechtssache: C-477/19 Art. 12 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen ist dahin auszulegen, dass unter dem Begriff „Ruhestätten“ im Sinne dieser Bestimmung auch Ruhestätten zu verstehen sind, die nicht mehr von einer der in Anhang IV Buchst. a der Richtlinie genannten geschützten Tierarten, wie etwa dem Cricetus cricetus (Feldhamster), beansprucht werden, sofern eine hinreichend hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass diese Art an diese Ruhestätten zurückkehrt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Artenschutzrechtliche Schädigungs- und Störungsverbote nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BNatSchG.

EU-Beschwerde der Deutschen Wildtierstiftung
Alle drei bis fünf Jahre gibt es eine Massenvermehrung der Feldmäuse. 2020 wurde den Landwirt*innen per Notfallverordnung ein verstärkter Einsatz von Rodentiziden erlaubt. Hamster fressen diese Giftköder genau wie Mäuse und gehen daran genauso zugrunde. Auf Flächen, die der Feldhamster besiedelt, ist die Ausbringung eigentlich verboten, die Entscheidung aber, ob auf der Fläche Hamster leben, ist den Landwirt*innen überlassen. Dies bedeutet eine große Gefahr für den Hamster, insbesondere, da er vom Aussterben bedroht ist und oft nur in kleinsten Populationen vorkommt.
 
Auf Grund dieser Situation hat die Deutsche Wildtierstiftung im November 2020 eine EU-Beschwerde gegen die Notfallverordnung eingereicht, da diese gegen geltendes EU-Recht verstößt.
Gartenhamster: radwildlife.com/hamster-2/

Allgemein und Literatur, wiss. Arbeiten: www.deutschewildtierstiftung.de
© Biologische Schutzgemeinschaft Göttingen
Zurück zum Seiteninhalt